Interview mit Benjamin über die Durchsuchung und Verhaftung

Autonome Anarchisten, eine Erfindung der Staatsanwaltschaft

Benjamin Rosoux, 30 Jahre, ist einer der am 2. Dezember aus der Untersuchungshaft Freigelassenen im Rahmen der Ermittlungen zur Sabotage auf die Strecken der SNCF. Er erzählt, wie Kriminalbeamte und Polizisten am 11. November gegen 6 Uhr morgens im so genannten Goutailloux, in der Nähe von Tarnac (Corrèze) aufkreuzen und ihn für 4 Tage in Polizeigewahrsam und zwei Wochen in Untersuchungshaft nach Paris bringen.

Die Aussage eines Beschuldigten, der außerdem den Behauptungen widerspricht, in einer, mit dem Verweis auf Terrorismus begründeten, rücksichtslosen Untersuchung.

Die Verhaftung
„Ah, sie sind ein großer Fisch“

Das Haus ist erfüllt von Rufen „Polizei, Polizei“ im Treppenhaus, die ganze Etage ist in wenigen Sekunden von etwa zwanzig Polizisten der mobilen Gendarmerie belagert. Anfangs versteht man nicht viel, alle Türen sind offen, alle werden in Schach gehalten. Über zehn Minuten verbietet man mir mich anzuziehen. Sie überprüfen die Personalien. Es wird klar, dass sie Anweisung haben nach bestimmten Personen zu suchen. Ich stelle mich sofort vor, da ich für den Ort verantwortlich bin. Nachdem sie meinen Namen haben, werden mir sofort Handschellen angelegt und danach erst, erlaubt man mir mich anzukleiden. Alle anderen wurden in ein Zimmer gebracht und ich war alleine in einem anderen Raum.

Was ist passiert?

Zunächst sehe ich den, der der Chef der Operation zu sein scheint, ein Ermittler der Unterabteilung Antiterrorismus, ziemlich jung, mein Alter. Er mimt den Schlaumeier und sagt mir: „ Ah, Benjamin“, auf eine Art sehr vertraut. „Wir kennen uns gut.“ Ich sage: „Ich selbst habe nicht das Vergnügen sie zu kennen.“ „Aber doch, ich kenne dich gut. In Vichy hast du munterer gewirkt (Demonstration Anfang November). Darauf lässt er mich bei den Gendarmen. Es war komisch, da war eine Art Konkurrenz. Die Gendarmen waren dabei zu meckern, zu sagen, dass sie die Angelegenheit abgeben mussten und dass die Antiterrorismus-Abteilung alle Lorbeeren dieser Geschichte einsammelten ? Einsammeln würden? Bis hierher weiß ich immer noch nicht worum es eigentlich genau geht. Der Gendarm, der auch nicht mehr weiß, schaut sich das Schriftstück an und sagt: „Ah, Sie sind ein großer Fisch. Es geht um Terrorismus“. Er überprüft die Papiere der anderen Personen und dann gibt es eine Wartezeit, und wir verstehen, nach ihren Gesprächen untereinander, dass es gleichzeitig an anderen Orten Wohnungsdurchsuchungen gibt.

Wie spielt sich die Durchsuchung ab?

Eine vollkommene Entblößung, Briefe, Fotos, Kleidung, alles wird heraus geholt, und der gleichen Person präsentiert, die scheinbar die Akte seit einer Weile verfolgt und weiß worauf sie achten muss, was behalten werden muss. Wir wechseln von Zimmer zu Zimmer. Sie suchen hauptsächlich nach elektronischen Texten und Dokumenten. Das erste was sie mich fragen: „ Gibt es Waffen hier?“ Sie bringen auch Sprengstoff-Spürhunde und vergnügen sich alles mögliche nachzumessen, insbesondere die Höhe der Treppenstufen, um zu sehen, ob sich dort nicht ein Versteck befindet. Sie nehmen auch alle Zahnbürsten und die Haarkämme der Kinder mit.

Wir machen eine Runde durch alle Zimmer, sie suchen nach Texten, allem was mit Anarchismus und Autonomie zu tun haben könnte, Broschüren, Flugblätter, Plakate. Sie waren sehr stolz eine Kinder-Zeichnung gefunden zu haben, die eigentlich verschiedene Bewohner von Goutailloux zeigen sollte. Für sie war es ein Element/Bauteil um Verbindungen nach zu weisen und sogar eine Hierarchie unter den Leuten.

Was sagen sie euch am Ende der Untersuchung?

Am Schluss machen sie nochmal eine Runde durch das Haus mit mir und ich soll unterschreiben. Sie sagen mir, dass sie in einem Zimmer auf dem Boden eine Plastiktüte mit  kugelsicheren Westen gefunden haben. Die hatte ich vorher noch nie gesehen. Ich war überrascht sie zu finden. Andererseits fliegen bei uns alle möglichen Sachen herum. Ich hab mich gefragt: „Aber wer hat das Zeug an geschleppt?“ Die kugelsicheren Westen schienen aus einem Armee-Restposten. Von da an hab ich mich geweigert, die Amtssachen zu unterschreiben.

Und danach?

Sie führen mich ab und ich verstehe oder vielmehr erahne, dass sie auch Mano mitnehmen (ein Freund des Hauses). Mir sagen sie: „Wir bringen dich im Auto nach Paris.“ Das sind 15 Stunden. Bei der Abfahrt meiden sie das Dorf. Sie tragen immer noch ihre Masken. Wir fahren mit 160 km/h. Es wird wenig gesprochen im Auto. Es ist ziemlich trocken. Ich bin während der ganzen Fahrt gefesselt. Ich verlange zu trinken, einer gibt mir eine Cola. Wir fahren weiter. Ich versuche im Auto zu schlafen. Ich bin ziemlich gelassen. Es ist nicht das erste mal, dass ich den Bullen begegne, das beunruhigt mich nicht sehr. Überrascht aber nicht beängstigt. Im Auto, überlege ich, frage ich mich, wer verhaftet worden sein könnte.

In Polizeigewahrsam
„das ist der beängstigenste Moment.“

Gegen 21 Uhr sind wir in Paris. Alle werden verdoppelt, sie setzen ihre Masken wieder auf. Wir kommen in der zentralen Leitstelle der Innenauskunft (Direction centrale du renseignement intérieur) in Levallois an. Wir steigen aus, die Jacke über dem Kopf komme ich in einen Raum mit Einzelzellen und herunter gelassenen Rollos. Und da wird mir klar, dass Leute in den anderen Zellen sind, aber ich sehe nicht wer? Ich verbleibe eine Stunde in der Zelle, dann holen sie mich für eine Verlängerung des Gewahrsams. Ich lande wieder in der Zelle, und vielleicht zwei Stunden später werde ich mit noch einer Person nach Nanterre in Räume des Innenministeriums zum Gewahrsam überstellt.

copy/ paste und übersetzt von http://www.liberation.fr/societe/0101304063-anarcho-autonome-une-invention-de-magistrat