Tarnac Verfahren – Aussage verweigert

Zwei Autonome waren heute in Berlin als Zeuge in Ermittlungsverfahren in Frankreich geladen. Anlaß waren Hakenkrallenanschläge anläßlich des Castors-Transports im Herbst letzten Jahres.
Schon im Vorfeld hatten sie angekündigt, die Aussage zu verweigern und riefen für heute zu einer Protestkundgebung vor der französischen Botschaft auf. Einige Fotos und ein Bericht unter: http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/160709aussage_verweigert.html
Die Vernehmungen der beiden Zeugen vor dem Gericht am Tempelhofer Damm dauerten Stunden. Das Gericht wollte das Aussageverweigerungsrecht (§ 55) zunächst nicht akzeptieren. Nach 2 1/2 Stunden schließlich wurde der erste Zeuge entlassen, hingegen dauert die Vernehmung der zweiten Zeugin zur Zeit noch an.
Vor der Botschaft wurde auf die 30 jährige Tradition der atomaren Zusammenarbeit zwischen französischen und deutschen Konzernen und Regierungen hingewiesen. Mit ungeheurer krimineller Energie beschleunigen derzeit französische und deutsche Konzerne den Neubau von Atomkraftwerken in Frankreich, China, Finnland und Bulgarien. Egal ob in Deutschland gerade die Asse absäuft, egal ob das bulgarische Akw in einem hochgradigen Erdbebengebiet gebaut wird, den Konzernen wie EON, EDF oder RWE geht es nur um Profit. Gegen diese menschenverachtende Politik gibt es seit Jahrzehnten vielfältigen Widerstand. Am 8. November 2008 standen wegen Signalsabotage und Hakenkrallenanschläge über tausend Züge in Frankreich und in Deutschland still. Drei Tage später kam es im französischen Dorf Tarnac zu einer groß angelegten Razzia. Zehn Leute wurden unter Terrorismusverdacht festgenommen, mittlerweile sind alle unter strengen Auflagen wieder draußen. Sie sollen als „Unsichtbare Zelle“ Hakenkrallen in die Oberleitungen von mehreren TGV-Strecken gehängt haben. Nahezu zeitgleich hatte es auch in Deutschland zahlreiche Brandanschläge auf Signalanlagen der Bahn AG gegeben.
In einem auf deutsch verfassten Kommuniqué, das u.a. bei der taz einging, wurden die Aktionen in beiden Ländern in Zusammenhang mit dem seinerzeit rollenden Castor-Transport nach Gorleben gestellt: „Weil wir es satt haben, haben wir heute in den Morgenstunden unseren Zorn gegen das Transportnetz für Atommüll gerichtet.“ In französischen Veröffentlichungen hingegen nehmen weder Polizei, noch Medien oder die Beschuldigten selbst Bezug auf den Widerstand gegen Atomtransporte. Statt dessen werden die Aktionen im Lichte der sich zuspitzenden sozialen Auseinandersetzungen gesehen. Immer wieder ist die Rede von einem Buch, das einer der Beschuldigten mit verfasst haben soll. „Der kommende Aufstand“ spricht vom Aufbegehren gegen die trostlos unwirkliche Gegenwart und ruft dazu auf, sich für die unweigerlich losbrechende Revolte konkret vorzubereiten. Die nervöse Reaktion auf die Sabotageakte, das inflationäre Gerede vom Terror und der unmittelbar einsetzende Medienhype spricht dafür, dass sich auch Staatsschutzorgane und die politische Klasse dieser These anschließen – und folglich schon ein wenig um ihre Ruhe fürchten…
So, und wie kommen nun die beiden ZeugInnen ins Spiel? Die beiden jetzt als ZeugInnen geladenen Personen wurden bereits Anfang des Jahres in einem Report der französischen Ermittlungsbehörden zum Tarnac-Verfahren erwähnt. Im entsprechenden Abschnitt geht es um die in Deutschland zeitweise weit verbreitete Praxis, Atomtransporte mit Hakenkrallen zu sabotieren sowie um ein vor zehn Jahren unter dem Arbeitstitel „Goldene Hakenkralle“ bekannt gewordenes (und unterdessen eingestelltes) Ermittlungsverfahren, das sich u.a. gegen die beiden Vorgeladenen richtete. Nach der Kundgebung sind 50 Leute gemeinsam zum Amtsgericht an den T-Damm gefahren. Beide ZeugInnen haben vor dem Gericht die Aussage verweigert. Der Vernehmungsrichter wollte sich bei dem ersten Zeugen auf das Aussageverweigerungsrecht nach § 55 nicht recht einlassen. Erst nach längerem juristischen Disput mit dem Rechtsbeistand des Zeugen und Rücksprache mit seiner vorgesetzten Behörde in der Senatsjustizverwaltung hat er von einem Ordnungsgeld abgesehen. Das Ergebnis der zweiten Zeuginbefragung steht noch aus.
Am Freitag, den 17. Juli ist eine weitere Zeugenvernehmung in Hamburg angesetzt. Auch hier soll es eine Kundgebung geben. Ort: Sievekingplatz ab 12 Uhr http://www.umbruch-bildarchiv.de

Redebeitrag auf Kundgebung und Grußadresse

Deutsch-Französische Atom-Mafia: Die Verbindung kappen!!!
Die ständigen Pannen im Atomkraftwerk Krümmel bringen es in die Tagespresse, was für die deutsche und die französische Anti-Atom-Bewegung seit Jahrzehnten klar ist: Atomkraft ist nicht beherrschbar! Der Kampf gegen die Nutzung von Atomenergie, gegen den Bau von Atomkraftwerken und den Uranabbau (z.B. in Kanada), der auf vielen Ebenen und mit verschiedenen Mitteln geführt wird, ist der Kampf gegen eine lebensgefährliche Technologie.
Atomenergiepolitik auf internationaler Ebene
Die deutsch-französische Zusammenarbeit in der Atomenergiepolitik hat eine sehr lange Tradition. Seit den 70er Jahren wird in der Wiederaufbereitungsanlage La Hague deutscher Atommüll wiederaufbereitet und die Castoren für Gorleben gefüllt. Ebenfalls seit 30 Jahren arbeitet der Siemenskonzern mit französischen Konzernen bei Entwicklung und Bau von Atomkraftwerken eng zusammen. Die staatliche französische EdF ist Großaktionär beim süddeutschen AkW-Betreiber EnBW. Trotz aller Pannen und Unfälle in französischen Atommeilern wie Tricastin im letzten Jahr oder aktuell in Krümmel bei Hamburg halten die Konzerne und die Regierungen am Weiterbetrieb und Ausbau der lebensgefährlichen Atomkraft fest. So baut der französische Atomkonzern Areva neue AkW’s in Frankreich und China, der deutsche Energiekonzern EON in Finnland und die RWE einen russischen Bautyp in Bulgarien. Fragen der Sicherheit für die Bevölkerung sind dabei nachrangig. Vorrangig geht des den Kapitalisten um die Sicherung ihrer Profite: Die Deutschen bauen in Bulgarien den Atommeiler in einer stark erdbebengefährdeten Region. Seit Jahrzehnten werden im sogenannten Endlager Asse alle möglichen radioaktiven und giftigen Stoffe weggekippt, obwohl bekannt ist, dass es durch Wassereinläufe als Endlager völlig ungeeignet ist. Es ist im Fall Bulgarien und auch bei der Asse klar wie Kloßbrühe, dass PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen von der Atomindustrie gekauft wurden. Und das Geschäft lohnt sich für die deutsch-französische Atommafia: Allein für den Weiterbetrieb der 17 deutschen Atomkraftwerke erwarten die vier deutschen Energiekonzerne einen Profit von mehr als 200 Milliarden Euro. Die Atomindustrie geht dafür weltweit über Leichen. Doch es ist nicht diese kriminelle Energie der Konzerne, die von der deutsch-französischen Justiz verfolgt wird. Nein, stattdessen werden Menschen kriminalisiert, weil ein paar Hakenkrallen auf Oberleitungen von Zügen geworfen worden sind, um diesen Wahnsinn der Atommafia endlich zu stoppen.
Internationaler Widerstand bringt Behörden auf den Plan
Im letzten November gab es sowohl in Frankreich als auch in Deutschland Protest- und Widerstandsaktionen, als deutscher Atommüll in Castor-Behältern von Frankreich aus ins niedersächsische Gorleben gebracht wurde. Zahlreiche Demonstrationen, Kundgebungen, Gleisblockaden und Sabotage-Aktionen an Zuglinien in Deutschland und Frankreich führten zu Millionenschäden und über tausend Zugverspätungen: der Castorzug erreichte nach einem horrend teuren Polizeieinsatz damals erst mehr als 20 Stunden später als geplant das Zwischenlager Gorleben – ein Zwischenlager, das nichts anderes ist als eine gut durchlüftete Kartoffelscheune… Auf deutscher Seite waren Signalanlagen außer Betrieb gesetzt worden, in Frankreich sorgten Sabotageaktionen auf einigen Hochgeschwindigkeits-Trassen für großes Chaos im Wochenend-verkehr der französischen Bahn. Dabei kommen mehrere Züge zum Halten, über tausend verspäten sich. Grund sind zwei in die Oberleitung gehängte Hakenkrallen, die bei der Durchfahrt die Stromabnehmer von der Versorgung trennen. In einem auf deutsch verfassten Kommuniqué, das u.a. bei der taz einging, werden die Aktionen in beiden Ländern erklärt: »Weil wir es satt haben, haben wir heute in den Morgenstunden unseren Zorn gegen das Transportnetz für Atommüll gerichtet.« Kurz danach kommt es im kleinen französischen Dörfchen Tarnac und an anderen Orten zu einer großen Durchsuchungs- und Festnahmewelle. Neun Menschen werden festgenommen und zum Teil monatelang in Untersuchungshaft gesteckt. Die französischen Behörden und Teile der Medien sprechen in geradezu inflationärer Manier von Terrorismus und knüpfen damit an die Ermittlungen gegen eine sogenannten „Anarcho-Autonome Bewegung“ an, unter deren Label es bereits seit Januar 2008 zahlreiche Festnahmen in Frankreich gegeben hatte. Grund waren Aktionen gegen Abschiebegefängnisse, Teilnahme an den in Frankreich sehr starken Bildungsprotesten und Demonstrationen während der Präsidentschaftswahlen. Auch ein kleines Büchlein, das einer der Beschuldigten mit verfasst haben soll, sorgt in diesem Zusammenhang für Wirbel: Die Schrift mit dem Titel: „Der kommende Aufstand“ spricht vom Aufbegehren gegen die trostlos unwirkliche Gegenwart und ruft dazu auf, sich für eine losbrechende Revolte konkret vorzubereiten. Die Behörden reagieren nervös auf dieses Buch. Sie schlagen Alarm, wenn sich Menschen international vernetzen, um dem atomaren, klimapolitischen und kapitalistischen Wahnsinn mit all seinen Zumutungen etwas entgegenzusetzen. Was wir als pure Notwendigkeit ansehen, nennt die Gegenseite wahlweise Terrorismus, „Aufständische Internationale“ oder Aktionen von brutalen Chaoten. Auch in Italien wurden kurz vor dem dortigen G8-Gipfel derjenigen Machthaber, die die Weltpolitik bestimmen wollen, zwei GenossInnen verhaftet, wegen versuchter Sabotage mit Hakenkrallen an Bahnlinien. Auch sie sollen mit weiteren 35 Personen einer »Aufständischen Internationale« angehören – wir grüßen sie und alle anderen, die keine Ruhe geben wollen!
Die Ermittlungen in Frankreich halten noch an. Alle Betroffenen sind inzwischen – unter sehr strengen Auflagen wie Kontaktverbote, Residenzpflicht etc. – wieder freigelassen, oder sie hatten sich der Festnahme entzogen. Prozesstermine sind bisher nicht in Sicht.
Deutsch-Französische Freundschaft gegen deutsch-französische Ermittlungen
Was die Tarnac-Affäre und die Sabotage-Aktionen gegen Zuglinien während des Castor-Transports angeht, wollen französische Ermittlungsbehörden offensichtlich nun auch in Deutschland ermitteln. Für den heutigen Donnerstag sind zwei Autonome aus Berlin im Rahmen eines Amtshilfeersuchens aus Frankreich hier vor einen Richter geladen worden, um als ZeugInnen befragt zu werden. Die beiden wurden bereits Anfang des Jahres in einem Report der französischen Anti-Terror-Polizei zum Tarnac-Verfahren erwähnt. Im entsprechenden Abschnitt geht es darin um die in Deutschland zeitweise weit verbreitete Praxis, Atomtransporte mit Hakenkrallen zu sabotieren. Deutsche Behörden informierten ihre französischen KollegInnen über ein inzwischen längst eingestelltes Ermittlungsverfahren unter dem Arbeitstitel »Goldene Hakenkralle«, das sich u.a. gegen die beiden heute Vorgeladenen richtete. Auch in Hamburg gibt es demnächst eine Vorladung. Die beiden Anti-Atom-AktivistInnen aus Berlin werden keine Aussagen machen. Sie möchten den Behörden keinerlei Informationen für deren Ermittlungen gegen den Anti-Atom-Widerstand oder gegen diejenigen liefern, die gerade als eine kriminelle Bewegung hochstilisiert werden, weil sie gegen kriminelle Politik aktiv sind. Stattdessen laden wir alle ein, nach dieser Kundgebung die beiden zum Gericht am Tempelhofer Damm zu begleiten. Wir nutzen die uns nicht ganz freiwillig gegebene Gelegenheit, um am Tage der richterlichen Vorladung solidarische Botschaften aus dem noch viel zu ruhigen Berlin an die GenossInnen in Tarnac zu senden.
Dem System die Krallen zeigen – hier und da und dort: Sie kommen nicht durch! Unsere Solidarität gegen Repression! Unsere Kämpfe gegen ihre Politik! Solidarité!

außerdem wurde folgende „Grußadresse“ verlesen:
Solidarische Grüße an die kriminalisierten Companeros und Companeras in Berlin und Frankreich!!!
Wir, das sind die TeilnehmerInnen eines Wochenend-Seminars über „Repression gegen soziale Bewegungen in Europa und Lateinamerika“ vom letzten Wochenende in Hessen, hörten von euren Vorladungen als ZeugInnen für den 16.7., wo ihr gegen die sogenannten Tarnac9 in Frankreich aussagen sollt. Wir finden es gut und richtig, dass ihr euch nicht einschüchtern lasst und eine Kundgebung vor der französischen Botschaft abhaltet. Wir wünschen euch und den GenossInnen in Frankreich viel Kraft und Durchhaltevermögen!
Hier und den kämfenden sozialen Bewegungen weltweit sagen wir: La Lucha sigue – Der Kampf geht weiter! Und: No pasaran – Sie werden nicht durchkommen!

Copy/ paste von: http://de.indymedia.org/2009/07/256301.shtml

2 responses to “Tarnac Verfahren – Aussage verweigert”

  1. annalist » Da waren’s nur noch vier – weitere Einstellungen im mg-Verfahren

    […] beiden jetzt Vorgeladenen haben die Aussage verweigert und einer von beiden soll dafür 800 Euro "Ordnungsgeld" […]

  2. RadioAktiv

    Wir sprachen mit einem der Betroffenen über seine Vorladung und die Hintergründe der Repression. Zum Zeitpunkt des Interviews war noch nicht klar, was mit der zweiten Vorladung ist, da diese noch nicht zu Ende war (19:15!).

    Am Anfang des Interviews ist eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse in Frankreich, am Ende eine Soli-Erklärung und der Hinweis auf die Zeug_innenvorladung in Hamburg am Freitag 17.7. und die Kundgebung aus diesem Anlass.