Die BewohnerInnen von "Les Pilos" in Chambéry
Angesichts dessen, dass es jede Menge Reaktionen gab auf das, was diese Woche in Chambéry passiert ist und dass die einzigen verfügbaren Quellen die institutionellen Medien sind ("Le Dauphiné Liberé, wo man Anrecht auf zwei ‚hübsche‘ erste Seiten hatte, ‚La Vie Nouvelle‘ etc….), haben wir uns gesagt, dass es informativer wäre, Euch unsere Version, die der BewohnerInnen von "Les Pilos" zu geben.
Wir werden nicht auf die Explosion zurückkommen, die in der Nacht von Donnerstag auf Freitag [30. April auf 1. Mai 2009] in Cognin stattgefunden hat, in einer alten stillgelegten Stoff-Fabrik, wo eine Genossin ihr Leben gelassen hat und ein Freund an Armen und im Gesicht schwer verletzt worden ist. Er wurde ins Krankenhaus von Lyon in eine Station für schwere Brandverletzungen gebracht, unter polizeilicher Eskorte, aber sein Zustand hat es noch nicht erlaubt, ihn zu verhören.
Im Anschluss daran wurden die Ermittlungen sehr früh der SDAT [Antiterrorismus-Abteilung] in Paris anvertraut, am Nachmittag des 1. Mai. Wir selbst haben durch die Presse (AFP-Meldung) am Freitag abend von der Explosion erfahren.
Da die Artikel der lokalen Presse von jungen Leuten sprachen, die dem libertären Milieu nahe stünden, war man darauf gefasst, ziemlich schnell schweres Geschütz vor dem "Les Pilos" auffahren zu sehen, da klar ist, dass dies der bekannte und zentrale Ort in Chambéry ist.
So konnte man dann am Montag, gegen 16 Uhr nach und nach eine beeindruckende polizeiliche Aufstellung rund um "Les Pilos" beobachten: insgesamt 130 Bullen (ein Dutzend Wannen der CRS [compagnies républicaines de sécurité; französische Bereitschaftspolizei, auf Demos etc. gern und viel eingesetzte Kampfbullen], die SDAT, auf Dächern positionierte Typen, die PJ [Police Judicaire; Kriminalpolizei auf nationaler Ebene, die für schwere Verbrechen nach dem Strafgesetzbuch zuständig ist; Oberbehörde der SDAT], Polizeitechniker, wie Kosmonauten verkleidet, auf Exposivstoff abgerichtete Spürhunde und -hündinnen [sic! d.Übers…], die BAC [brigade anticriminalité; ursprünglich eine Einheit, die speziell nachts aktiv war; Aufgabengebiet heute z.B. der Kampf gegen "violence urbaine", sog. Straßengewalt], uniformierte und gepanzerte mobile Einheiten und all dies begleitet von der nationalen lokalen Polizei und der des Kommissariats und der kommunalen Polizei, die die Straßen Richtung "Les Pilos" abriegelten.
So gesehen also alle Formen und Farben, beinahe alles, was dieser Staat an Repressions-Kräften aufzubieten hat, sammelte sich dort in Chambéry vor unseren schönen Augen.
Es fehlten nur noch Panzer und Helikopter (einen haben wir sogar gehört, allerdings ist das Krankenhaus auch nicht weit…). Sie haben dann das gesamte Gebäude mit einem auf Sprengstoff aberichteten Spürhund (oder einer Spürhündin) durchforstet. Aber die Armen verloren etwas die Fassung, als sie sahen, wie groß das Gebäude ist. Um so mehr verwundert waren sie, als sie feststellten, dass sie nicht wussten, wie viele Personen dort leben und auch nicht, wie viele tatsächlich in diesem Moment anwesend waren.
Sie mussten 36 Zimmer durchwühlen und wir selbst haben ein Gefäß mit Wasser für den Hund oder die Hündin (Alec!) gefordert, der (bzw. die) keinen Bock mehr hatte, seine (ihre) Arbeit zu machen – zu erschöpft! Am Ende haben sie "nichts verdächtiges gefunden", laut Protokoll.
Sie haben aber 11 Personen zum Verhör mitgehen lassen, die sich in den Räumen des zentralen "Comico" [Theater?] befanden und sie haben die Personalien von einigen Personen aus der Menge der Leute aufgenommen, die durch die massive Anwesenheit von Bullen alarmiert worden waren.
Im Anschluss daran haben sie alle relativ schnell wieder raus gelassen, außer einem Genossen, der zunächst für 96 Stunden im GAV [garde à vue, Gewahrsam] festgehalten wurde, im Rahmen der neuen Anti-Terrorismus-Gesetzgebungen.
Die Akten werfen ihm Mitgliedschaft vor in einer Gruppe von "malfaiteurs" [ÜbeltäterInnen, VerbrecherInnen] mit dem Ziel terroristische Aktionen zu verüben [vgl. §129, 129a in Deutschland] oder so etwas in der Art. Er ist seit Montag 16 Uhr im GAV und wird – oder nicht – Freitag den 8. Mai um 16 Uhr raus kommen [was nicht geschehen ist – Info 19. Mai, d.Übers.]. Nach dem, was man weiß, ist er immer noch im Polizeikommissariat von Chambéry. Er wird seinen Anwalt Donnerstag um 16 Uhr sehen können (nach Ablauf von 72 Stunden nämlich und er ist aktuell, wo wir dies hier schreiben, 49 Stunden gefangen), ab diesem Moment müsste man wohl mehr wissen.
Unmittelbar danach wurden zwei andere Squats in Chambéry durchsucht, was zu Verhören von weiteren GenossInnen geführt hat.
Es besteht also die große Chance, dass diese Affäre vom Staat instrumentalisiert wird, um voran zu kommen mit der Konstruktion eines "inneren Feindes", einer neuen "anarcho-autonomen Zelle", einer neuen Idee und Psychose, die gerade in Mode zu sein scheint. Dies wird zur Einrichtung neuer Sicherheitsmaßnahmen führen, besonders im Rahmen der Europa[parlaments-]wahlen, die heranrücken, es wird der Bevölkerung Angst machen, um sie dazu zu bringen, zur Wahl zu gehen und ihre "bürgerlichen Pflichten" zu erfüllen.
Im Moment wurde die Sache noch nicht allzu sehr auf der nationalen Ebene aufgegriffen (trotz kleiner Umwege auf FR2,3 [allgemeine Nachrichtensender] und LCI [La Chaine Info, Bezahl-Nachrichtensender], aber man muss erstmal eine baldige Pressekonferenz von MAM [Michèle Alliot-Marie, Innenministerin] abwarten.
Für uns vielmehr ist die Affäre nicht zu Ende, wir erwarten baldige weitere GAV [Gewahrsamnahmen], wir wissen nicht genau, was sie suchen und bis wohin sie bereit sind zu gehen. Man weiß im Moment nur, dass sie eine "dritte Person" suchen, die an diesem Abend am entsprechenden Ort in Cognin gewesen sein soll.
Eine Demo zur Unterstützung von "Les Pilos" und dem Genossen, der in GAV [Gewahrsam] sitzt, ist vorgesehen für Freitag den 8. Mai um 14 Uhr, man kann für diesen Zeitpunkt schon jetzt mit einem massiven Aufgebot an Polizei rechnen: sie gingen schließlich jetzt schon auf dem Zahnfleisch [?]…
Die BewohnerInnen von "Les Pilos"
(12. Mai 2009)
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