Eine tote Genossin, ein Schwerverletzter nach einer Explosion, sowie weiter massive Repression in Form von Hausdurchsuchungen und neue Verhaftungen in Frankreich – Solidarität mit den Betroffenen!
Stand vom 22. Mai 2009
Im französischen Cognin (Savoie) ist es in der Nacht auf den 1. Mai 2009 zu einer schweren Explosion in einer stillgelegten und leerstehenden Fabrikhalle gekommen. Zoe, eine 23-Jährige aus der Ardèche kam dabei ums Leben, der 25-jährige Schweizer Mike wurde schwer verletzt und in ein Krankenhaus in Lyon eingeliefert. Inzwischen scheint er außer Lebensgefahr zu sein, wird aber schwerste Verletzungen davon tragen. Er lebte in einem Bauwagen, Zoe soll in verschiedenen besetzten Häusern gewohnt haben und die Medien behaupten, sie sei polizeibekannt gewesen, als Hausbesetzerin (vor allem auch auf dem Land, wo es um lange Zeit leerstehende Berghütten gegangen sein soll) und Aktivistin auf linken Demos, z.B. gegen die Räumung des Ungdomshuset/Kopenhagen.
Nach dem fürchterlichen und tragischen Unfall wurde in der Presse sofort über mögliche Bombenbauversuche, einen neuen linksextremen Terrorismus etc. spekuliert und es erschienen Artikel über die Jugendlichen in der Nachbarschaft. Schnell wurde ein Zusammenhang mit der "mouvance anarcho-autonome francaise", kurz MAAF ["anarcho-autonomen/libertären Bewegung"] vermutet, eine Staatsschutz-Konstruktion, die seit einiger Zeit zu heftigen Repressionsschlägen, Ermittlungen, Verhaftungen und Razzien führt1 <#sdfootnote1sym>.
Am 4. Mai durchsuchten dann ca. 130 PolizistInnen, davon viele BeamtInnen der speziellen Anti-Terroreinheiten (SDAT) und der nationalen politischen Polizei mit Spürhunden das besetzte Haus "Les Pilos" im nahegelegenen Chambéry. Zunächst wurden 11 Menschen in Gewahrsam genommen, 10 davon wieder frei gelassen, bis auf Rafou, dessen sogenanntes "Garde à vue, kurz GAV" [Untersuchungsgewahrsam] länger als die möglichen 96 Stunden dauern sollte – er wurde nach Paris gebracht in das berüchtigte Gefängnis "La Santé", wo auch Julien über einem halben Jahr einsaß.
Weitere Squats in der Umgebung von Chambéry (z.B: das "Chateau Chamouth") wurden in den darauffolgenden Tagen durchsucht und mehrere Menschen verhört, laut Presseartikeln sollen u.a. leere Feuerlöscher, Isolierklebeband und weiteres Material gefunden worden sein, die von den Bullen in den Kontext von Bomenbauversuchen gestellt werden, wie sie in Cognin in der leeren Fabrikhalle stattgefunden hätten. Rafou soll das besetzte Haus öfter besucht haben, ebenso wie Lucas, der am 12. Mai ebenfalls in den Knast ging. Die Polizei ermittelt wegen Beweismittelvernichtung und Mitgliedschaft in einer "association de malfaiteurs", einer terroristischen Vereinigung. Am Abend der Explosion hat Rafou mit FreundInnen Karten gespielt – kurz zuvor hatte er einen öffentlichen Solidaritäts-Aufruf unterschrieben, in dem die Verbindung zwischen alternativem Lebensstil und Terrorismus, wie sie in Frankreich aktuell von Polizei, Justiz und großen Teilen der Medien hergestellt wird, in Frage gestellt wird.
In Paris war am 5. Mai Tessa, ein aktives Mitglied des Tarnac-Solikreises in ihrem/einem Auto verhaftet, dabei ans Lenkrad gekettet und ebenfalls in Garde à vue genommen worden. Sie ist inzwischen wieder frei gelassen worden.
Am Morgen des 18. Mai sind die Bullen morgens früh in mehrere Wohnungen in Rouen eingeritten, durchsuchten Zimmer, wühlten nach Papieren und nahmen 3 Leute mit in Garde à vue, um sie zu verhören. Sie sollen Bertrand, Elsa, Mathieu und Aria kennen (z.T. MitbewohnerInnen). Laut Presse stehen diese Ermittlungen im Zusammenhang mit den Sabotagen an TGV-Oberleitungen und es sollen Verbindungen zu Julien gesucht werden, der bis Ende Mai ebenfalls unter diesem Vorwurf im Knast saß; außerdem werden sie verdächtigt, im September bei einer Demo in Thessaloniki Kontakt mit deutschen Autonomen gehabt zu haben " die übliche Masche, dass verdächtigt wird, wer jemanden kennt, der jemanden kannte, die jemanden kennen soll…
Am 21. Mai wurden die drei wieder freigelassen – bisher wird ihnen offiziell nichts vorgeworfen.
Ebenfalls am Montag den 18. Mai gab es im Zusammenhang mit einer Soli-Demo in Marseille frühmorgens Bullenbesuch und vorläufige Festnahmen (bzw. Garde à vue’s) von vier Leuten aus Forcalquier (Provence): Johanna, François, Samuel und Héléna, aufgrund ihres Engagements im "Comité de sabotage de l"anti-terrorisme"/ [///Komitee zur Sabotage des Anti-Terrorismus///]./ Später erfolgte noch die Gewahrsamnahme eines Grünen-Mitglieds, Bruno, als dieser mit anderen beim Polizeikommissariat sich nach den Gefangenen erkundigen wollte. Vorgeschobener Grund sollen Aufrufe gewesen sein, durch die die Behörden die Sicherheit des französischen Ministers der relativ neuen Behörde für innere Sicherheit/ Nachrichtendienste gefährdet sahen… Auf einem Bruno zugerechneten Aufruf war ein Foto des Eingangs der Zweit-Villa dieses offensichtlich so gefährdeteten Ministers Bernard Squarcini zu sehen…
Inzwischen sind alle fünf aus Forcalquier bzw. Marseille wieder frei, genau so wie diejenigen aus Rouen.
Nicht genug damit, dass die Bullen eine Razzia und Festnahme nach der anderen veranstalten und versuchen, so viel Angst und Verunsicherung als möglich zu streuen, sie haben inzwischen auch die ersten Verhörversuche beim schwerverletzten Mike unternommen, der sich momentan in einer unerträglichen Situation befinden muss… Laut seinem Anwalt ist es noch nicht sicher, ob seine Hand gerettet werden kann und ob er sein Augenlicht verliert. Wir alle wissen, dass die Polizei auch in den scheinbar so demokratisch verfassten Ländern Westeuropas in der Vergangenheit keine Scheu hatte, in ihren Augen des Terrorismus Verdächtige auch im Zustand schwerster Verletzungen zu bedrohen, zu verhören, ja auch unter Drogen zu setzen etc. etc.
Es gibt in vielen Städten und Regionen lokale Soli-Komittees, die der großen Hetze etwas entgegen setzen, die immer wieder Gegenöffentlichkeit herstellen, die Gefangenen unterstützen, Demos organisieren und und und.
Am 8. Mai fand in Cognin eine autonome Spontandemonstration von etwa 200 Leuten statt, am Samstag den 23. Mai in Lille eine überregionale Antirepressionsdemo gegen Terrorverfahren, Polizeigewalt und Überwachungsgesellschaft.
Ihre Einschüchterungsstrategie nicht aufgehen lassen – Solidarität !!!
1 Festnahmen von Ivan und Bruno im Januar 2008 auf dem Weg zu einer Demo gegen den Abschiebeknast in Vincennes, Festnahmen von Isa und Farid sowie später von Damien und Juan, die bis heute im Knast sitzen sowie am 11. November 2008 die Durchsuchungen und Festnahmen im kleinen Dorf Tarnac, in deren Zusammenhang Julien unter Terrorismusverdacht für mehr als sechs Monate im Knast in Paris saß und Ende Mai Haftverschonung erhalten hat
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