Der kommende Aufstand

Ein Aufstand, wir können uns nicht mal mehr vorstellen, wo er beginnt. Sechzig Jahre der Befriedung, ausgesetzter historischer Umwälzungen, sechzig Jahre demokratischer Anästhesie und Verwaltung der Ereignisse haben in uns eine gewisse abrupte Wahrnehmung des Realen geschwächt, den parteilichen Sinn für den laufenden Krieg. Es ist diese Wahrnehmung, die wir wiedererlangen müssen, um zu beginnen.

Warum eine deutschsprachige Ausgabe?
Bevor wir uns daran machten „L‘insurrection qui vient“ zu übersetzen, waren wir eigentlich der Meinung, es nicht zu tun. Im Grunde dachten wir, dass dieses Buch zu speziell auf die französische Situation zugeschnitten ist, in den Beispielen wie in der Schwerpunktsetzung. Warum haben wir es trotzdem getan?

Der wichtigste Grund ist wohl, dass wir es satt haben, politische Pamphlete zu lesen, die sich mit der Darstellung der schlechten Verhältnisse begnügen, ohne konkrete Schritte zu ihrer Aufhebung in die Diskussion zu werfen. „Der kommende Aufstand“ beschreibt die bröckeligen Fundamente der gegenwärtigen Ordnung nicht, um aufzurütteln oder Therapien zu ihrer Rettung vorzuschlagen, im Gegenteil. Die Zerbrechlichkeit der verschiedenen Aspekte dieser Welt der Domestizierung und Vernutzung, ihre neusten Transformationen werden nur durchgespielt, um endlich ihre Zerstörung konkret ins Auge zu fassen. Die Selbst-Zurichtung der Individuen, die sich mit Pillen im Rennen der Vermarktung halten, die Gewöhnung schon der Kleinsten daran, dass ihr Leben in der Selektion für eine Arbeitswelt bestehen wird, deren einziger Zweck der Erhalt des Hamsterrades selbst ist; der Angriff auf unser Leben wird nur geschildert, damit wir uns darin erkennen und dagegen in Stellung bringen können. Die Rundreise durch das trostlose Existieren der Metropole ist Aufklärung nicht im mythischen, sondern im militärischen Sinne: die Klärung eines gemeinsamen Ausgangspunktes, der operativen Bedingungen einer Real-Exit-Strategie aus der globalen Misere, und nicht zuletzt der praktischen Hebel, die uns in diesem Kampf zur Verfügung stehen.

Die Tatsache, dass der soziale Angriff der Eliten in den verschiedenen Staaten der westlichen Welt zusehends ähnliche Formen annimmt, kann eine derartige Positionsbestimmung über alte kulturelle Grenzen hinweg tragen. Die Vermessung und Verwaltung des Menschenmaterials kommt uns allen bekannt vor, auch wenn Dateien und Polizeien andere Namen tragen. Der Klartext hinter der Billig-Propaganda von Managern und Kriegsherren tritt international so klar zutage wie die Erfahrung sich verschärfender Ohnmacht angesichts der unbelehrbaren Arroganz der Macht. Die Kolonisierung verarmter Viertel, der expandierende Assimilationsdruck nicht nur in den Banlieues schärft das Verständnis eines Widerstands, der sich nicht mehr mit Forderungen aufhält. Der sich in der Tat organisiert.

Wir schätzen den Text der französischen GenossInnen als Beitrag zur uralten, immer wieder neu aufflammenden Debatte darüber, wie wir uns diesen Quatsch vom Hals schaffen können, diese ewig gleiche Reduzierung der Welt auf die Verwertung der Welt. Eine Gebrauchsanweisung für die Revolte ist das Buch nicht. Das wäre vollkommen absurd. Jedes Aufbegehren ist so einzigartig wie die Revoltierenden selbst; eine Vielfalt an Traditionen, Kampferfahrungen und Träumen, erkennbar aber nicht vereinheitlicht durch den Glutkern ihrer Sehnsucht nach Befreiung. Viele Überlegungen über den kommenden Aufstand finden wir inspirierend, manche Taktiken direkt übertragbar, und einiges führt uns zu anderen Schlussfolgerungen, weil unsere Stärken andere, unsere Kämpfe nicht identisch sind. Richtig und gut für die Überwindung hiesiger Defizite finden wir, dass der in diesem Buch vertretene Zugang helfen könnte, den Status Quo linker Teilbereichskämpfe aufzubrechen, der im Horizont der Opposition oft an die unverbundene Aufzählung unzähliger Antis gebunden bleibt und dadurch nahe legt, sich in feindlichen Kategorien einzukästeln.

Die Bedeutung der Diskussionen und praktischen Versuche, die in den letzten Jahren um die Idee des Aufstands kreisen, sehen wir in der Erneuerung einer lebendigen revolutionären Perspektive, im handgreiflichen Ringen um die Wiedervereinigung von Denken und Handeln – nicht in 500 Jahren oder am anderen Ende der Welt, sondern hier und heute. Das Experimentieren mit Alternativen und der Kampf gegen das Establishment sind nicht nur nicht unvereinbar, sie ergänzen sich und sind unmittelbar aufeinander angewiesen. Das unsichtbare Komitee fordert uns auf, die Waffe der Kritik nicht in den Dienst der eigenen Entwaffnung zu stellen und den Kampf auf der Strasse nicht in den Abschied vom Nachdenken darüber münden zu lassen, wie wir uns langfristig halten können, denn der Aufbau autonomer Strukturen ist notwendige Basis für jeden ernst gemeinten Angriff auf dieses System. Der allerdings hat viele Formen und bringt unterschiedlichste Kommunen hervor.

„Der kommende Aufstand“ wird uns nicht ersparen, in unseren eigenen Zusammenhängen klar zu kriegen, wer unsere Feinde sind und wo ihre Schwachstellen liegen, wie sie angegriffen werden können und welche Fallen es zu vermeiden gilt. Wir können den Text nutzen, um unsere Ideen und unsere Praxis weiterzuentwickeln.Wir können kritisch darauf antworten und die internationale Debatte um unser Tortenstück Erfahrung bereichern, und so dazu beitragen, eine neue Sprache der Rebellion zu entwickeln. Notwendig ist das Buch dafür keinesfalls. Um unsere Situation zu erkennen und daraus aufzubrechen braucht es keinen Masterplan, keine eine Wahrheit, die uns offenbart werden muss. Wir können an jeder Ecke loslegen, unser Leben in die eigenen Hände nehmen und uns gegen die herrschenden Verhältnisse verbünden. Was die unsichtbaren GenossInnen allerdings zu bedenken geben, ist, dass es zum Schmieden einer nachhaltigen, den absehbaren Attacken der Gegenseite gewachsenen Strategie Sinn macht, eine gewisse Koordination zwischen den einzelnen Gruppen zu kultivieren, um eine gemeinsame Verteidigung zu ermöglichen.

Als Diskussionsvorschlag in Richtung einer derartigen strategischen Kooperation finden wir das Buch der französischen GenossInnen gut, nicht als neue Schule oder Kult. Diese undogmatische Weigerung beinhaltet, dass es uns im Grunde gleichgültig ist, ob die AutorInnen die Emanzipation der anderen Kollektive zentral am Herzen liegt oder ob sie lieber alle nach ihrem Ebenbild schaffen würden. Es geht nicht darum ja oder nein zu ihrem Vorschlag zu sagen, sondern um die Eskalation einer Diskussion, zu der auch sie nur beigetragen. Ein libertärer Aufstand wird sich nicht ausbreiten, von der Revolution ganz zu schweigen, solange der Ruf nach FührerInnen uns innerlich schwächt. Wie alle Bücher hat auch „Der kommende Aufstand“ seine blinden Flecken, und die Unterschätzung der Möglichkeit einer autoritären Wendung der ganzen Angelegenheit zählt mit Sicherheit dazu. Was nichts anderes heisst, als dass diese Auseinandersetzung noch darauf harrt, von uns geführt und aufgeschrieben zu werden! Wenn es gelingt zu vermeiden, die Diskussion über den kommenden Aufstand auf eine banale Zugehörigkeitsmaschine einzudampfen, könnten folgende Analysen und Vorschläge helfen, uns mit organisierteren Strukturen gegen die fortschreitende Zerstörung unserer Lebensgrundlagen zu formieren und eine lange nicht gesehene Schlagkraft zu entfalten.

Der kommende Aufstand als

html: http://de.indymedia.org/2010/07/286487.shtml

pdf: http://media.de.indymedia.org/media/2010/07//286489.pdf

4 responses to “Der kommende Aufstand”

  1. beni

    ich fand den „aufruf“ schöner…
    kann mir jemand sagen, wo ich den bestellen oder runterladen kann????
    bitte kurz an die email griffel@gmx.de antworten.
    DANKE!!!!!
    das beni

  2. hinweis
  3. abc
  4. Michael

    Hi,

    wir haben bislang erfolglos versucht, in Berlin (etwa 30) Exemplare des Aufstands-Büchlein aufzutreiben. Könnt Ihr uns weiterhelfen?

    Zudem weisen wir Euch darauf hin:

    http://magazinredaktion.tk/texte.php

    Gerne auch zum Weiterverbreiten oder zur Auseinandersetzung.

    Best.
    M.