Redebeitrag aus Hamburg

Die immer wiederkehrenden Erfahrungen mit Repression zeigen, dass es nur eine Frage der Zeit ist bis wir alle Kriminelle sind. Ein Beispiel:


Was ist passiert?

Am 11. November durchsuchte die französische Polizei in einem Überfallkommando mit Polizist_innen aus verschiedenen Einheiten (Nationalpolizei, Antiterroreinheit; Kriminalpolizei; Geheimdienst) mehrere Gebäude und Wohnungen in Limoges, Paris, Rouen und Tarnac. Allein im Ort Tarnac waren 150 von ihnen eingesetzt. Dabei wurden insgesamt zehn Menschen verhaftet.

Als offizieller Auslöser für die Razzien wurden Sabotageaktionen gegen Bahnstrecken des französischen Hochgeschwindigkeitszuges angeführt. Am vorhergehenden Wochenende gab es an vier Orten Hakenkrallen-Anschläge auf Oberleitungen des TGV, infolge dessen es zu massenhaften Zugverspätungen in Frankreich aber auch bei einigen internationalen Verbindungen kam.


Zur aktuellen Situation

Kurz nach den Verhaftungen wurde eine Person ohne Anzeige wieder freigelassen. Neun Genoss_innen wird vorgeworfen ?eine verbrecherische Vereinigung mit terroristischer Absicht? begründet zu haben und ?die Urheber von gemeinschaftlicher Sachbeschädigung am Schienennetz mit terroristischer Perspektive? zu sein, was mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Einer von ihnen wird sogar als ?Führer einer Struktur mit terroristischem Ziel? bezeichnet, was bis zu zwanzig Jahre Haft bedeuten kann.

Mittlerweile sind sieben der Beschuldigten auf Bewährung und unter strengen Auflagen frei, aber Yldune. und Julien. sind noch immer im Knast.

Das Mittel zum Zweck, oder
Antiterrorgesetze machen´s möglich

Der französische Anti-Terrorparagraf, unter dem unsere Genoss_innen angeklagt sind, ermöglicht ähnlich wie der Paragraf 129 a in Deutschland ein präventives Vorgehen gegen Aktivist_innen, ohne irgendwelche konkreten Beweise. So wurden die betroffenen Menschen laut Behördenangaben seit dem 16. April 2008 vom politischen Geheimdienst überwacht und abgehört; dabei kamen auch Peilsender zum Einsatz.

Trotzdem konnten die Behörden bisher keine aussagekräftige Beweise für die Vorwürfe liefern. Hingegen klammern sie sich an Indizien, die jenen der deutschen Behörden bei ihren Ermittlungen im Zusammenhang mit der mg1 ähneln, wie den Aufenthalt in der Nähe zu den Anschlagsorten, Besitz von bei den Hausdurchsuchungen sichergestellten Alltagsgegenständen, sowie linksradikaler Literatur, konspiratives Verhalten und besondere Intelligenz zur Verfassung von kritischer Schriften. Außerdem hätten die Beschuldigten an Demonstrationen und Gegengipfeln teilgenommen.

Mit dem Konstrukt, es handle sich bei den Festgenommenen um eine terroristische Gruppe, kann die französische Regierung ihre Repression gegen die kritische anarchistisch-autonome Bewegung auffahren, die ihr schon seit einiger Zeit ein Dorn im Auge ist.

„Politischer Aktivismus oder die aktive Ausübung politischer Freiheiten und die Anwendung eines radikalen Diskurses sind also ausreichender Grund, um die Anti-Terror-Abteilung der Polizei (SDAT) und das zentrale Büro des inneren Nachrichtendienstes (DCRI) in Aktion treten zu lassen.“


Betroffen sind einige, gemeint sind wir alle

Zugleich dient der Terrorismus Vorwurf dazu, eine entschlossene Widerstandsbewegung zu diskreditieren. Die Medien springen bereitwillig darauf an und verbreitern das Bild der gefährlichen Terroristen, fernab der ihnen vorliegenden Fakten. Damit schüren sie ein Klima der Angst kräftig mit und bestätigen die vermeintliche Notwendigkeit von Edvige-Datenbank2 , biometrischen Überwachungstechnologien und schärferen Immigrationsgesetzen.


Und jetzt?

Uns überrascht ein derartig scharfes Vorgehen von staatlicher Seite nicht, aber wir werden es auch nicht hinnehmen. Wir erklären uns solidarisch mit den französischen Genoss_innen und fordern die sofortige Freilassung von Julien und Yldune sowie die Einstellung der Ermittlungen.

Sabotageakte sind zwar kein legales, aber ein legitimes Mittel politischer Intervention, solange die körperliche Unversehrtheit aller gewahrt wird.

Die Behörden sprechen beim Einsatz von Hakenkrallen gegen Züge von Terrorismus, doch was ist schon so ein Stück Metall gegen die legale ?Normalität?. Die Normalität, die die inneren und äußeren Grenzen gegen Flüchtlinge legal abschottet, die Millionen von Menschen legal ausbeutet. Die Normalität, in der uns Krieg und Hungertod als legal und naturgegeben verkauft werden.

Unterstützungsbekundungen gab es bereits von verschiedenen Seiten. Beispielhaft hat die Bevölkerung aus Tarnac, einem der Orte, in dem die (Anti)Terroreinheiten einfielen eine Solidaritätsgruppe gegründet.

Mittlerweile zieht die Repression ihre Kreise und übt auch auf die Soli-Bewegungen Druck aus. So fanden am 30.11./1.12. in Brüssel bei einer belgischen Gruppe mehrere Durchsuchungen statt. Am 2.12. wurden in Paris einige Aktivist_innen während einer Kundgebung für die "Tarnac9" festgenommen. Ihnen wird "Rebellion" vorgeworfen.

Lasst euch nicht einschüchtern! Wir müssen der Kriminalisierung unserer Genoss_innen entgegenwirken und Gegenöffentlichkeit schaffen. Neben finanzieller Unterstützung ist es notwendig, öffentlichen Druck aufzubauen – auch hier in Deutschland. Rebelliert!

Wir sind alle 129a, auch in Frankreich!
Freiheit für alle gefangenen Genoss_innen!
Für eine herrschaftsfreie Gesellschaft!

Aktuelle Informationen findet ihr im Internet, auf http://tarnac9.noblogs.org

1 Militante Gruppe, für mehr Infos siehe http://einstellung.so36.net/
2 Edvige-Datenbank: Die französische Regierung hat ab dem 1. Juli die Einrichtung einer Datenbank namens "Edvige" beschlossen. Darin werden auch Jugendliche im Alter von 13 bis 18 Jahren erfasst. Dabei geht es um den Verdacht, dass sie "künftig die öffentliche Ordnung stören", ihre sexuelle Orientierung, Vereinsaktivitäten, politische Überzeugungen usw.

per email, thx!